Das Verwaltungsgericht hat das von der Stadt Augsburg verhängte Feuerwerksverbot gekippt – das Verbot von Böllern an Silvester ginge zu weit, die Verhältnismäßigkeit sei nicht gegeben. Juristisch mag dies begründbar sein, trotzdem sorgt das bei mir für mehr als Kopfschütteln.
Feinstaub belastet Mensch, Tier und Umwelt
Dass ich kein sonderlich großer Fan der Silvesterböllerei bin ist nichts neues. Nach einer vom Umweltbundesamt herausgegebenen Studie werden in Deutschland durch Feuerwerkskörpern jährlich ca. 4.500 Tonnen Feinstaub freigesetzt, ein Großteil davon in der Silvesternacht. Dies entspräche laut dieser Studie ca. 15,5 % der Menge, die der Auto- und LKW-Verkehr während des gesamten Jahres verursacht. Hohe Mengen an gesundheitsschädlichem Feinstaub und belasten Mensch und Umwelt. Die schlechte Luft ist vor allem für Menschen mit chronischen Atemwegserkrankungen eine enorme Belastung: stärkerer Husten, Atemnot und ein Gefühl von Enge in der Brust sind häufige Probleme für die Betroffenen. Das sind Dinge, die wir als Bevölkerung seit vielen Jahren billigend in Kauf nehmen, deswegen will ich sie außer acht lassen, auch wenn gerade der letzte genannte Punkt durch Corona neue Bedeutung bekommt. So ist auch Corona eine Atemwegserkrankung und diese Belastung durch das Silvesterfeuerwerk wird dieses Jahr viel mehr Menschen treffen als in anderen Jahren.
Worum geht es mir also? Um Solidarität, um Zusammenhalt und um Nachvollziehbarkeit der Maßnahmen.
Was ist Verhältnismäßig?
Das Feuerwerksverbot sei nicht Verhältnismäßig? Seit 2. November haben wir in ganz Bayern unsere Gastronomie geschlossen, ohne nachweislich in diesem Bereich Infektionsherde zu haben und obwohl umfangreiche Hygienemaßnahmen zur Anwendung kamen. Selbes gilt für unsere Kultureinrichtungen, der Schließung weiter Teile des Einzelhandels, Friseure, Schwimmbäder und Sportstätten folgten. Die Versammlungsfreiheit wurde eingeschränkt, es herrscht eine Ausgangssperre von 21 bis 5 Uhr.
Um die Ausbreitung von gefährlichen Krankheiten wie COVID-19 zu verhindern, darf der Staat Grundrechte beschränken. Der Staat darf auch in der aktuellen Ausnahmesituation nur in unsere Grundrechte eingreifen, wenn dies verhältnismäßig ist. Infektionsschutzmaßnahmen greifen außerdem in viele weitere Grundrechte ein, so z.B. auch in die Freiheit der Person. Diese Maßnahmen treffen wir, weil das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit jetzt im Vordergrund steht und das ist richtig so! Das heilige Silvesterfeuerwerk bewerten Gerichte also als höherwertiges Gut. Gut das ich Mensch und kein Jurist bin!
Silvester im Gesundheitssystem – die Schattenseite meines Berufes
Jedes Jahr zu Silvester – der schlimmste Tag des Jahres in meinem Job als Notfallsanitäter. In der Silvesternacht haben wir seit Jahren Vorhalteerhöhungen (zusätzliche Kolleg*innen und Rettungswagen), um das hohe Einsatzaufkommen bewältigen zu können. Gleiches gilt für unsere Notaufnahmen in den Kliniken. Betrunkene und Verletzte aufgrund des Feuerwerks sind die häufigsten Notfälle. Alles Notfälle, die nicht sein müssten, Schicksale die man vermeiden könnte .
Seit Monaten reden wir über die Belastung unserer Krankenhäuser. Augsburg hatte zeitweise die höchste 7-Tage-Insidenz in ganz Deutschland. Viele der oben genannten Maßnahmen haben wir getroffen, um unser Gesundheitssystem nicht zu überlasten. Das alles in einer Zeit, in der die Lage noch wesentlich entspannter war, als sie das heute ist. Keine freien Betten in den Kliniken mehr, unser Personal wegen der ganzen Schutzmaßnahmen am Rande ihrer Kräfte. Und jetzt wollen wir ernsthaft noch akzeptieren, dass abgesprengte Finger, verletzte Augen und Verbrennungen durch den Rettungsdienst in unsere Notaufnahmen gebracht werden müssen!? Nun gut, dass „Grundrecht auf Böllerei“ scheint rechtlich höherwertigeres Gut.
Lasst uns dieses Jahr auf die Böllerei verzichten, des Anstands wegen
Was denken wohl unsere Mitmenschen die in dieser Krise alles verloren haben, wenn wir mit unserem Feuerwerk den Ausklang des Jahres und den Start in ein neues Jahr 2021 feiern, welches damit beginnt, dass Corona täglich mehr Opfer fordert. Was denkt mein Nachbar, wenn ich voller Freude Raketen aus meinem Garten in den Himmel feuere, während er am Fenster sitzt und voller Trauer an seine kürzlich an Covid19 verstorbene Ehefrau denkt. Die Soloselbständigen, die Kulturschaffenden, die Klubbetreiber, die vielen Menschen die unter dieser Krise viel verloren haben, ob ihnen zum mitfeiern zumute ist? Ich glaube auch aus diesem Grund sollten wir dieses Jahr gänzlich auf die Böllerei verzichten. Für mich gebührt das der Anstand.
Bleibt Gesund!
Ihr/Euer Peter Rauscher
3 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Danke für diesen Post. Ich stimme in allen Punkten überein. Lasst uns solidarisch sein mit allen, die in diesem Jahr schwer gelitten haben. Mein besonderer Dank gilt den Menschen im Gesundheitswesen. Wer schon mal auf einer Intensivstation war oder furchtbare Verletzungen gesehen hat, weiß was für eine unglaubliche Arbeit diese Menschen leisten. Wer nicht bereit ist, dasselbe zu leisten, sollte Gefahren zu meiden, die dazu führen, dass er diese Dienste in Anspruch nehmen muss.
Ganz abgesehen davon, dass wir nur mit einem ernst gemeinten und gelebten „WIR“ durch diese und kommende Krisen kommen können. Ich hoffe, egoistische Haltungen gehören mehr und mehr der Vergangenheit an, denn sie sind unsolidarisch, antiquiert, sinnlos und armselig. Bleibt gesund – in jeder Hinsicht!
Dem kann ich mich nur anschließen!
Ich verstehe das langsam nicht mehr so ganz: Demos ohne Masken 🎭 gehen; Böllern darf sein, obwohl das Gesundheitssystem schon an der Grenze der Belastung ist. Zugleich überlegt man, ob man die Gottesdienste trotz Mundschutz, Abstand und Gesangsverbot verbieten sollte.